Nachtgedanken - 5

Herr über zwei Sitze 
(Facebook-Artefakt vom 22. Feb. 2013)


Heute war ich öffentlich unterwegs.
6:30 Uhr: der Bus fährt ein. So am Rande der Zivilisation bietet sich mir meistens noch der eine oder andere freistehende Doppelsitzbank an, in den ich mich schlaftrunken einnisten kann. Es hat etwas beruhigendes, ja beinahe erhabenes an sich, wenn man Herr über zwei Sitze ist. Man ist dann nicht zum Bittsteller verdammt, möchte man eine einigermassen angenehme Fahrt geniessen, sondern kann sich schon am frühen Morgen seiner Grosszügigkeit erfreuen, wenn man auf die Frage, "ist hier noch frei", freundlich nickt. Na ja, ich könnte auch nein sagen - das tut man aber nicht. Natürlich gibt es auch diejenigen, welche sich gewaltsam den Nachbarsitz unter den Nagel reissen. Da würde man vielleicht gerne nein sagen - traut sich aber nicht.
Heute jedenfalls, hatte ich Pech. Es gab nichts mehr zu erobern. "Ist hier noch frei?" fragte ich also die junge Dame, gleich hinter dem Fahrkartenentwerter. Sie nickte mit einem verhaltenen Lächeln ein "eigentlich nicht...", welches ich geschickt überhörte und mich hinsetzte. Das "eigentlich nicht"  stieg zwei Stationen später ein. „Ich bin hier!“ rief meine Nachbarin ihrer Freundin zu, welche morgentaub an uns vorbeizog und nach Hinten eilte. Das tat mir nun doch etwas leid, dass ich deren gemeinsame Fahrt vereitelt habe. So lange tat es mir leid, bis meine Nachbarin ihr Smartphone zog und zu schreiben begann: „ciao, ich bin hier vorne, neben diesem seltsamen, älteren Herrn.“ Ups!
Nun ja, das hätte sie so schreiben können. Fakt ist, ich habe natürlich keinen Schimmer was sie geschrieben hat, denn sonst hätte ich nach ihren Worten schielen müssen - aber sowas tut man ja nicht.

bonum nox mundi



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